Augustina, das „Hexenkind“

In Ghana leben Christentum und alte Tradition eng vereint. Aberglaube und traditionelle Rituale sind noch weit verbreitet und tief in den Herzen der Ghanaer verankert. Die charismatischen Kirchen wie z. Bsp. Die Pfingstkirchen tragen viel dazu bei, diesen Glauben zu erhalten und betreiben Exorzismus.

Augustina ist ein Opfer dieses Aberglaubens
Bei Augustina brach im Alter von sechs Jahren Epilepsie aus. Als ihr Vater zwei Jahre danach starb, glaubte die Familie, das Kind habe den Tod des Vaters verursacht. Man behauptete, sie, die Achtjährige, sei eine Hexe und sperrte sie für die nächsten acht Jahre zu den Ziegen und Hühnern in die „local kitchen“, direkt vor dem Familienhaus inmitten von Kissi.

Augustina beim Tanzen
Augustina macht gerne Kombinationsspiele

 

 

 

 


Befreiungsaktion

Im März 2004 bekam Baobab den Hinweis, dass sie einmal nach der 16jährigen Tochter einer bestimmten Familie im Dorf fragen sollten. Alhaji und ein Mitarbeiter öffneten die kleine niedrige Lehmhütte, vor dessen Tür ein großer Stein lag. Sie fanden Augustina völlig verschmutzt, mit langen verfilzten Haaren und extrem langen Fuß- und Fingernägeln auf dem Boden liegend. Sie lag zusammengekrümmt und starrte in Panik auf die Eindringlinge. Die beiden dachten im ersten Augenblick, da läge ein Tier. Baobab benachrichtigte Social Welfare, Human Rights und die Polizei. Zwei Tage später wurde Augustina aus ihrem Gefängnis befreit. Augustina überlebte acht Jahre ohne Sonnenlicht unter unkontrollierten epileptischen Anfällen, häufiger Malaria und nur mit dem Notwendigsten zu essen. Sie war Haut und Knochen, konnte noch nicht einmal mehr sitzen, hatte zahlreiche schlecht zusammengewachsene Brüche, schwere Malaria und sah im Alter von 16 Jahren aus wie acht. Sie war natürlich schwer traumatisiert. Baobab konnte ihr die gestohlene Kindheit nicht zurückgeben, aber es wurde alles versucht, um ihr ein Leben in Würde zu ermöglichen. Baobab kümmerte sich die letzten zwölf Jahre um sie.

Der Heilungsprozess
Die ersten neun Monate verbrachte die 16-Jährige in einer Klinik, um ihre Brüche zu korrigieren. Man stellte fest, dass sie durch die Unterernährung ganz brüchige Knochen hatte. Baobab suchte eine Pflegemutter für sie, die sich jeden Tag im Krankenhaus um sie kümmerte, denn Kranke müssen in Ghana im Krankenhaus von jemanden versorgt werden. Baobab kaufte gute Nahrungsmittel und bezahlte die Pflegemutter Hannah. Dann besuchte Augustina einige Jahre eine Schule für Kinder mit Behinderungen und Baobab kam für die Kosten der Schule und für die Pflegemutter auf. Mit viel Geduld und unermüdlichen Übungen schaffte Augustina es allmählich, wieder auf ihren Füßen zu stehen. Als ihr in dieser Schule für Kinder mit Handicaps nicht mehr weitergeholfen werden konnte, kam sie zur Baobab School. Sie konnte leider keine großen Fortschritte in der Schule machen. Wir dachten, sie könnte ein Handwerk erlernen, z. Bsp. Korbflechten, aber bis jetzt geht sie in die „Special Class“ in der Baobab Schule, wo sie einfach dabei ist, immer noch schreiben und rechnen lernt und viel malt.

Augustina, die jetzt 28 Jahre alt ist, kann leider nicht eigenständig für sich sorgen. Isolation und epileptische Anfälle (ohne die richtigen Medikamente) haben über die Jahre zu viel zerstört. Sie hatte früher eine wunderschöne Singstimme, wahrscheinlich hat ihr das Singen in der Gefangenschaft das Leben gerettet, auch heute noch hat sie eine schöne hohe Singstimme und Teile von Texten kann sie noch singen. Ihre Pflegemutter Hannah nahm sie wie ihr eigenes Kind an und kümmerte sich am Wochenende – finanziell von Baobab unterstützt – liebevoll um sie. In dem neuen Dorf der Pflegemutter jedoch wurde Augustina wieder stigmatisiert als Hexe. Hannah und Augustina mussten beide mehrfach umziehen, da die Besitzer keine „Hexe“ in ihren Räumen duldeten. Ausgelöst wurde diese erneute Stigmatisierung durch epileptische Anfälle und ständiges Zittern, das von der Medizin herrührt.

„Blut ist dicker als Wasser“
Schon 2012 stellte Baobab fest, dass sich die Mutter und Augustina allmählich wieder annäherten. Die Mutter zeigte großes Interesse an Augustina, ging sie manchmal besuchen und Augustina überwand allmählich die Ablehnung, die sie in den neun Jahren seit ihrer Befreiung deutlich gezeigt hatte. Baobab musste in die Zukunft schauen und initiierte ein Treffen mit dem Sozialamt, Augustina, ihrer Pflegemutter, der Mutter und der Schwester. Augustina und die Familie akzeptierten, dass sie wieder zur Familie ziehen sollte, die nicht mehr da lebt, wo sie eingesperrt wurde. Sie leben auf eigenem Land in drei Räumen zu acht Personen. Baobab baute für die Familie eine Außentoilette und Dusche um Augustina zu helfen.

Augustina kehrte 2016 wieder zu Baobab zurück.
Nach einem Jahr bei der Familie stellten wir fest, dass Augustina schwer vernachlässigt wurde. Die Familie musste auf der Farm arbeiten, so dass niemand sich um Augustina kümmern konnte. Den ganzen Tag war sie alleine und lag auf dem Bett, nässte sich ein, weil sie sich nicht traute alleine den Gang über den Hof zu machen. Sie hatte keine Gesprächspartner und wirkte sehr verschlossen und einsam. Also holten wir sie wieder zu Baobab und stellten ihre Pflegemutter ein, die sich nun um Augustina und 5 weitere Adoptivkinder kümmert. Augustina geht jetzt in den Ferien immer für zwei Wochen zur Familie, ist aber sehr froh, wieder bei Baobab sein zu dürfen. Noch immer hoffen wir, dass sie etwas lernen kann, aber das Wichtigste ist, dass sie sich angenommen und geliebt fühlt. In Ghana gibt es keine Einrichtungen, die staatlich finanziert werden und solche Menschen aufnehmen, deshalb ist Baobab Augustinas Zuhause und ihre einzige Chance in Würde zu leben.